Hans im Glück – Kritik zum Film bei Tittelbach.tv (2025)

MDR, 04.08.2024, 15:30 Uhr - Wiederholung

Anton Spieker, Barthel, Bongartz, Theede. „Ich hab’ nichts mehr – ich bin frei!“

Rainer Tittelbach
„Hans im Glück“ ist ein Märchenklassiker. Dass diese schwankhafte Erzählung erst im neunten Jahr für die ARD verfilmt wird, hat einen guten Grund: Die Handlung ist dünn. Der Subtext ist dafür zwar umso reichhaltiger, ob der allerdings in seiner ganzen Vielfalt zum Zuschauer durchdringen wird, ist fraglich. Der Stoff bietet filmisch wenig: Dramaturgisch, visuell und von den schauspielerischen Leistungen her mussten sich die Macher auf dem Niveau der typischen Feld-Wald-Wiesen-Märchen der ersten ARD-Stunden bewegen. Eigentlich schade, ist die individuelle Glückserfahrung doch mehr denn je ein Thema!

Hans im Glück – Kritik zum Film bei Tittelbach.tv (1)

Foto: NDR / Georges Pauly

Ein nach wie vor für zahlreiche Lesarten offenes Märchen, inszeniert als harmlose Feld-Wald-Wiesen-Mär. Das Bild, das man kennt: Hans (Anton Spieker) mit Gans.

Für Hans (Anton Spieker) ist es an der Zeit, nach seinen Lehrjahren wieder zurückkehren zu seiner geliebten Mutter, heim ans Meer. Als Lohn für sieben Jahre gute Arbeit gibt ihm sein Herr, ein reicher Gewürzhändler (Heino Ferch), einen Klumpen Gold mit auf den Weg. Da Hans ihn kaum tragen kann, tauscht er ihn bald ein gegen ein Pferd. Auch dessen Nutzen hat er sich anders vorgestellt: Nachdem es ihn abgeworfen hat, ist er bald stolzer Besitzer einer Kuh. Da ihm aber das Melken nicht gelingen will, ertauscht er sich lieber ein Schwein, dem er wenig später eine Gans vorzieht. Ein armer Scherenschleifer macht ihm seinen Schleifstein schmackhaft; also schultert er diesen fortan – bis er ihm in einen Brunnen plumpst. Jetzt erst – ohne jede Last – vermag er voller Freude seiner Heimat entgegenzueilen. Am Meer wartet auf ihn die Kaufmannstochter Elisabeth (Michelle Barthel), die gemeinsam mit ihrem Vater (Gustav Peter Wöhler) bereits mehrmals Hansens Weg gekreuzt hatte. Sie ist überaus clever, sie weiß, wie man gute, ehrliche Geschäfte macht, aber sie weiß auch die menschlichen Qualitäten dieses jungen Mannes zu schätzen, der so faszinierend anders ist als ihr Vater.

Hans im Glück – Kritik zum Film bei Tittelbach.tv (2)

Foto: NDR / Georges Pauly

Ob wohl der Gewürzhändler (Ferch) Hansens Gedankengänge nachvollziehen kann?

Hans, ein Narr? Verrückt ist allenfalls sein Wertesystem
„Hans im Glück“ ist ein Märchen ohne Adel, ohne Zauber, ohne Hexen. Auf den ersten Blick wirkt die Geschichte wie die auf den Kopf gestellte romantische Glückssuche: Der Wanderer auf dem Weg zurück zu seinen Wurzeln. Zwar hat er ein Ziel, aber er lebt auch im Moment – und der ist für ihn das Maß für die Bewertung der Dinge; der ökonomische Wert interessiert ihn nicht. „Für den Leser erzählt ‚Hans im Glück’ vom Scheitern, für den Protagonisten selbst ist es eine Erfolgsgeschichte“, war 2013 in einer vorzüglichen Interpretation des Märchens im ZEITmagazin zu lesen. Geistiger Ursprung von Hansens Verhalten ist die Offenheit dem Leben gegenüber. „Er ist dankbar und erkennt die Einzigartigkeit der Tiere und Gegenstände“ – darin liegt für die weibliche Hauptdarstellerin Michelle Barthel die Moral von der Geschicht’. „Er bewertet das, was er auf seiner Reise eintauscht, nicht.“ Früher wurde das Märchen, das eher eine vielschichtige schwankhafte Erzählung mit Hang zur Parabel ist, mit der pragmatisch-materialistischen Brille gelesen. Hans wurde zum Narr erklärt („Nur die Einfalt findet das Glück“), zu einem, der sich übers Ohr hauen lässt. Doch im Märchen wie nun auch in der ARD-Verfilmung erkennt man deutlich, dass jenem Hans aller Besitz und alle damit verbundenen Mühen lästig sind. Man muss ihm das jeweils neue Tauschobjekt gar nicht schmackhaft machen; ganz so tückisch wie im Grimmschen Märchen sind Hansens Handelspartner in der Bearbeitung von Dieter und Leonie Bongartz (Buch) und Christian Theede (Regie) auch gar nicht dargestellt – und der junge Mann tauscht ohne jede Reue ein. Dass er kein Tölpel ist, zeigt die Exposition, in der er seinem Chef und dem Zuschauer seine praktische Intelligenz beweist. Ein Dümmling dürfte wohl kaum mit einem Goldklumpen für seine Arbeit belohnt werden. Dieser Hans weiß, was er tut. „Du hast schlecht getauscht“, hält ihm die Kaufmannstochter vor. „Mich muss es glücklich machen“, erwidert dieser darauf.

Hans im Glück – Kritik zum Film bei Tittelbach.tv (3)

Foto: NDR / Georges Pauly

Kaufmannstochter Elisabeth (Michelle Barthel) hat viel vom Talent ihres Vaters (Wöhler) mitbekommen – dennoch ist sie von Hansens Freiheitsdrang fasziniert.

„Hans im Glück“ ist kein Märchenfilm, der dramaturgisch, visuell oder von den schauspielerischen Leistungen her Besonderes in den Märchenkanon der „Sechs auf einen Streich“-Reihe einbringt: Optisch erinnert der Film an die früh für die ARD verfilmten ersten Feld-Wald-Wiesen-Märchen, die mit Landschaft und Natur, mit viel Naivität und Kostümiertheit und ohne großes ästhetisches Konzept ihr Glück versuchten. Auch die Musikkompositionen wirken wenig aufregend; sie unterstreichen zwar den Rhythmus der Wanderschaft, legen emotionale Schneisen durch die überschaubare Handlung und sind abgestimmt auf die gelegentlichen Gesänge des Helden, wirken mit ihrer unspezifischen Großflächigkeit zumeist allerdings höchst konventionell. So könnte der Film Gefahr laufen, die sinnträchtige Vorlage zu verwässern und den Zuschauer einzulullen, sich diese „Hans-im-Glück“-Adaption in Kenntnis der Geschichte anzuschauen, so wie einen Film, den man zum zweiten Mal sieht. Ob man so aber an diesen Hans noch viele Gedanken verschwenden wird? Dabei sollte diese Geschichte doch eigentlich zum Nachdenken animieren: über die Relativität von Glück und Erfolg beispielsweise oder über das spezifische Glücksmodell dieses jungen Mannes, der sich als „Sonntagskind“ beschreibt. Es sind die zahlreichen Lesarten, die das Grimmsche Märchen so interessant machen und die durchaus auch in der Neuverfilmung zu entdecken sind. Der Zuschauer muss sich zu diesem Hans verhalten, der keineswegs „verrückt“ ist, ver-rückt ist nur dessen Wertesystem. Und am Ende steht ein glücklicher Held und dessen Feststellung: „Ich hab’ nichts mehr – ich bin frei!“ (Text-Stand: 22.11.2916)

Trailer zu "Hans im Glück" von Christian Theede. "Freedom's just another word for nothing left to lose..." Der Soundtrack (Score) klingt leider alles andere als cool.

Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, zehn Jahre FSF-Prüfer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr


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Hans im Glück
NDR / Reihe / Märchenverfilmung
EA: 26.12.2016, 14.35 Uhr (ARD)
Mit Anton Spieker, Michelle Barthel, Gustav Peter Wöhler, Heino Ferch, Sebastian Ströbel, Max Hopp, Timo Dierkes
Drehbuch: Dieter Bongartz, Leonie Bongartz
Regie: Christian Theede
Kamera: Simon Schmejkal
Szenenbild: Andreas Lupp
Kostüm: Elena Wegner
Schnitt: Lucas Seeberger
Musik: Peter W. Schmitt
Produktionsfirma: Zieglerfilm Köln
Quote: 1,68 Mio. Zuschauer (10,1% MA)


Bewertung: 3,5 von 6


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